Referent Stefan Wittrahm am Podium.

Am 20. Februar 2019, fand das zweite Vortragsquartett am Berufskolleg der Stiftung Eben-Ezer statt. In Fortführung der ersten Quartetts „Kindersorgen ernst nehmen“ lautete das Thema dieses Mal „Kindersorgen aufnehmen“, zu welchem vier Experten in kurzweiligen, 15-minütigen Vorträgen aus ihrer je eigenen Sichtweise und Praxis referierten. Dazu fanden etwa 70 interessierte Zuhörer am Abend den Weg in die Aula des Berufskollegs und nutzten bereits vor den Vorträgen die Gelegenheit zu regem Austausch.

„Fünf Prozent der fünfjährigen und zehn Prozent der 14-Jährigen haben gemäß einer aktuellen Bertelsmann-Studie das Gefühl, dass sie in der Familie niemanden haben, der sich wirklich um sie kümmert.“ Mit diesem bedrückenden Befund übernahm Stefan Wittrahm, Pädagogischer Leiter der heilpädagogisch-therapeutischen Einrichtung Grünau, den Auftakt des Quartetts. In seinem freien Vortrag stellte er die Bedeutung von Beziehungen und Bindungspersonen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt.

Dabei zeigte er insbesondere die möglichen Konsequenzen eines traumatischen Beziehungsentzugs für Kinder und Jugendliche auf, die von Resignation und Verdrängung bis zu Kontrollzwängen und Gewalttätigkeit reichen können. Die Arbeit der Institution Grünau basiere dabei vor allem auf der Idee, diesen Kindern und Jugendlichen überhaupt erstmal ein „sicherer Ort“ zu sein und dort neben Beziehungsarbeit auch Rückzugsmöglichkeiten zu gewährleisten.

Eine andere Art der Beziehungsarbeit stellte Petra Junghans, Leiterin des Intergenerativen Begegnungszentrums der AWO im KastanienHaus“, vor. In der doppelten Funktion des Begegnungszentrums werden einerseits Beziehungen zwischen jung und alt ermöglicht, die für gewöhnlich außerhalb der Familie häufig nicht auftreten. Andererseits bietet das KastanienHaus eine offene Kinder- und Jugendarbeit in Kooperation mit verschiedenen Partnern wie Schulen und Vereinen an, ohne dabei selbst Mitgliedschaften o.ä. zu verlangen.

Verlässliche Strukturen bieten und dennoch Freiräume lassen, um somit soziales Lernen in vielen verschiedenen Kontexten zu ermöglichen, ist das erklärte Ziel des KastanienHauses. Auch in diesem Jahr nahm wieder ein Kollege des Berufskollegs als Referent teil. Dr. Martin Humburg, Dipl. Psychologe und Lehrer für Psychologie und Psychiatrie, beleuchtete in seinem Vortrag die Welt und Folgen für Kinder psychisch kranker Eltern.

Obwohl es keine lineare Weitergabe psychischer Erkrankungen von Eltern an ihre Kinder gäbe, so finde sich doch eine Korrelation zwischen der psychischen Belastung der Eltern und dem Erkrankungs­risiko der Kinder. Die möglichen Folgen sind dabei stark altersabhängig und können etwa zu Störungen der so wichtigen Bindungsentwicklung führen, wie bereits Stefan Wittrahm thematisiert hatte. Wichtige Schutzfaktoren seien für die Kinder dort vor allem tragfähige Beziehungen zu erwachsenen Personen.

So schloss Dr. Humburg mit dem Aufruf, Kindern positive Steine in den Weg zu legen – Stepstones, auf denen sie sicher über unruhige Gewässer gelangen können. Den Abschluss des Quartetts übernahm Dr. Martin Bruns, Kinderarzt aus Lemgo, und berichtete von den vielfältigen Problemen und Sorgen, mit denen Kinder heutzutage umzugehen haben, welche aber dennoch häufig von außen nur schwer zu erkennen sein können. Die Mitteilung von Sorgen erfolge selten spontan, sondern werde eher auf Nachfrage oder durch ihre psychosomatische Manifestierung offenbar.

Eines der häufigsten Probleme sei dabei im Kindesalter bereits Stress aus den verschiedensten Gründen – sei es etwa Schulstress, die Instrumentalisierung der Kinder in einer Scheidung aber auch im Kindesalter bereits die Angst vor Armut. Der Kinderarzt könne dabei dann häufig nur die Symptome behandeln und fungiere eher als Wegbereiter und -berater für Hilfe, die andernorts in Anspruch genommen werden kann.

In der folgenden, kurzen Diskussionsrunde konnten sodann auch noch einige dieser externen Hilfsstellen angesprochen werden, bevor Moderator und Schulleiter Klaus R. Berger das Publikum mit dem Gedanken entließ, dass auch in flüchtigen Beziehungen und Begegnungen zwischen Menschen, ganz einfache und nette Gesten bereits helfen können, die Sorgen des anderen zumindest für einen kurzen Moment zu lindern.

Das nächste Vortragsquartett findet am 13. November 2019, um 19:30 Uhr in der Aula des Berufskollegs der Stiftung Eben-Ezer statt und wird das Thema „Selbstbestimmung durch Literatur“ behandeln.

 

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