Gut gefüllt war der Raum im Kastanienhaus der AWO in Lemgo, als Frau Dr. Anita Idel, ausgebildete Tierärztin und u.a. Beraterin im Bereich nachhaltige Landwirtschaft, über den Mythos, die Kuh sei ein Klimakiller, referierte. Der Einladung des BUND Lemgo und Lippe im Wandel waren mehr als 40 interessierte Menschen aus Lippe gefolgt, um zu erfahren, was es damit auf sich hat. Sie wies darauf hin, dass bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche Grasland weltweit einen Anteil von 70 %, in Deutschland allerdings nur noch rund 30 % hat. Graslandökosysteme speichern weltweit 50% mehr Kohlenstoff als Waldökosysteme. Es ist damit die erfolgreichste Permakultur. Obwohl das so ist, bemängelte Frau Dr. Idel, konzentriere sich Forschung überwiegend auf das Ackerland.
Das hat zur Folge, dass die Potenziale nachhaltiger Beweidung für Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt und damit zusammenhängend für das Weltklima und den Wasserhaushalt, weitgehend unerkannt und ungenützt bleiben. Dabei sind die fruchtbarsten Böden, die wir heute kennen, alles ehemalige Steppenböden. Durch Jahrtausende lange Co-Evolution von Grasland und Weidetieren entstand ihre hohe Fruchtbarkeit, die wir heute durch falschen Ackerbau langsam wieder zerstören. Die Entstehung der Bodenfruchtbarkeit des Graslandes ist eine Folge der hohen Wurzelmasse, die zu Humus umgewandelt wird. Nirgends fällt das Verhältnis von oberirdischer Pflanzenmasse zu Wurzelmasse so stark zugunsten der Wurzelmasse aus wie bei Graspflanzen.
Da jedweder pflanzlicher Zuwachs aus dem CO2 der Luft entsteht, entzieht ein hoher Humusgehalt der Luft entsprechend den Kohlenstoff. Frau Dr. Idel wies darauf hin, dass jede zusätzliche Tonne Humus im Boden die Atmosphäre um 1,8 Tonnen Kohlendioxid entlastet bzw. der Verlust belastet. Dieses hohe Potenzial des Graslandes bezüglich des Klimaschutzes kann aber nur bei nachhaltiger Beweidung genutzt werden.
Warum ist die Kuh trotzdem in Verruf geraten, ein Klimakller zu sein? Weil wir Millionen von Rindern halten, die nicht auf Grasland leben, sondern quasi auf Ackerland. Denn für sie wird Futter (Mais, Getreide, insbesondere Soja) auf den Ackerböden angebaut. Für den Anbau von gentechnisch verändertem Soja werden in Südamerika dann auch noch Tropenwälder gerodet, was die Klimabilanz noch mehr verschlechtert. Auf Milchleistung hochgezüchtete Kühe werden nicht artgerecht gehalten. Sie fristen ein Leben ohne Weidegang.
Dafür kann aber die Kuh nicht verantwortlich gemacht werden. Da der Mensch die Potenziale des Grünlandes nicht mehr richtig nutzt, verschlechtert sich der Status quo der Dauerweiden hinsichtlich Klimaauswirkung und Biodiversität bei uns. Und, so Frau Dr. Idel weiter, weil sich Studien nur darauf beschränken, die Methan (CH4) Emissionen zu messen. Methan entsteht bei den Verdauungsvorgängen im Pansen einer Kuh und ist 25mal so relevant für das Klima wie CO2. Doch Kühe, die in Ställen mit Ackerfutter gefüttert werden, können der Belastung der Atmosphäre durch Methan keine Entlastung durch Humusbildung auf der Weide entgegenhalten.
Nicht berücksichtigt wird auch, dass die Herstellung von Stickstoffdünger für Ackerfrüchte extrem energieaufwendig ist und pro Tonne Stickstoff rund 5 Tonnen CO2 freisetzt. Bei seiner Anwendung auf dem Acker entstehen zudem pro hundert Tonnen Dünger zwei bis fünf Tonnen Lachgas (N2O). Das ist mehr als 300mal so klimarelevant wie C02 und zwölfmal klimarelevanter als Methan. Werden Kühe aber an dem gemessen, was sie am Besten können, nämlich Gras verwerten, so die Schlussfolgerung von Frau Dr. Idel, dann können gesunde Kühe Fleisch oder jährlich 5.000 l Milch aus Gras erzeugen. Das ist Klimaschutz und Artenschutz zugleich auf der Weide, ohne Nahrungskonkurrenz zum Menschen.
Nach diesem informativen und spannenden Vortrag entspann sich eine lebhafte und spannende Diskussion zu der auch viele der anwesenden Landwirte*innen beitrugen. Wer sich für den Vortrag von Frau Dr. Idel interessiert, es gibt bei YouTube einen aufgezeichneten Vortrag https://www.youtube.com/watch?v=v6dG8VlvnW0
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